Anforderungen an eine moderne Warenwirtschaft
Matthias Nagel, Nils Ruminski, Martin Wittwar, Lukas Zintel
Die Komplexität und Heterogenität der branchenspezifischen Prozesse im Cluster Forst und Holz ist konzeptionell nicht vollumfänglich zu antizipieren. Das hat Konsequenzen für Produzenten und Konsumenten von Forstsoftware. Eine perfekte Lösung ergibt sich erst aus einer konstruktiven Zusammenarbeit von beiden, in der Betriebsspezifika in eine Standardlösung integriert werden. Bei der Entwicklung einer modernen Warenwirtschaft hat sich INTEND an diesem Paradigma orientiert.
Methodisches Vorgehen
Zu Beginn der Entwicklung standen umfangreiche Marktuntersuchungen zu Methoden und Prozessen in einer Vielzahl von Forstbetrieben durch die Universität Göttingen. Konzeptionelle Ansätze wurden Anwender präsentiert und gemeinsam diskutiert, um so den forstfachlichen Ansatz abzusichern (siehe AFZ 20/2019). Diese ausführliche Phase der Anforderungsanalyse und die langjährige Erfahrung der Projektverantwortlichen sicherte ein schnelles Fortschreiten von der Konzeption hin zur Entwicklung der elementaren Bausteine einer Warenwirtschaft ab. Schon zur Laufzeit des Projekts konnte ein erster Demonstrator der Branche präsentiert und agil weiterentwickelt werden. Großer Wert wurde auf eine intuitiv bedienbare Oberfläche in Kombination mit der fortlaufen Plausibilisierung der einzelnen Prozessschritte des Holzverkaufs gelegt. Etablierte Praxispartner, denen das System vorgestellt wurde, lobten einhellig die Übersichtlichkeit und einheitliche Handhabung von Rechnungserstellung, Angebot und Kaufvertrag.
Orientierung an Standards
Die Stammdaten orientieren sich an der Rahmenvereinbarung für den Rohholzhandel (RVR) und den ELDAT bzw. ELDATsmart Referenztabellen, eigene Stammdaten können zusätzlich ergänzt werden. Bei der Datenkommunikation mit Dritten (Sägewerke/Unternehmer) wird sowohl ELDAT 2.1 als auch ELDATsmart unterstützt. Die Digitalisierung der Holzabfuhr war ein Thema, das im Projekt evaluiert wurde, allerdings ist der gedruckte Lieferschein in Deutschland derzeit noch nicht wegzudenken. Das erfordert die Integration von möglichst hochwertigem Kartenmaterial. Die Anwender in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen können auf Grund der bestehenden Rahmenverträge mit der NavLog GmbH die Daten des Waldwegenetzes kostenfrei lizenziert bekommen. In anderen Bundesländern stehen neben den betriebseigenen digitalen Karten häufig umfangreiche Geodaten aufgrund der INSPIRE Richtlinie kostenfrei zur Verfügung, die in die GIS-Komponente der Warenwirtschaft integriert werden können. OpenTopoMap als auch hochaufgelöste Luftbilder können in der Komponente genutzt werden. Durch die Verknüpfung der Sachdaten mit einer intelligenten Karte, die den Status der Polter und die Polterattribute aus der Kartenansicht heraus vermittelt, kann die Warenwirtschaft die forstliche Informatik lebendiger und verständlicher machen. Die Zahlenkolonnen früherer Jahre weichen selbsterklärenden und „klickbaren“ Icons auf der Karte.
Die Intention, eine Standardapplikation für den Prozess der Einschlagsvorbereitung bis zum Holzverkauf einschließlich einer Lieferunterstützung der Branche zur Verfügung zu stellen, lässt sich heute sicher besser umsetzen als in früheren Jahren. Die visuelle Benutzeroberfläche bildet die einzelnen Prozesse in gleichen Strukturen ab, was wesentlich für eine intuitive Bedienung ist. Wenige ausgesuchte Farbelemente sind Funktion und keine Spielerei. Einzelne Arbeitsschritte werden linear dargestellt und folgen einer einheitlichen Mimik.
Inhaltlich wurden zentrale Entitäten konsolidiert und so einheitliche Prozesse geschaffen. Die Holzbereitstellung kann über die Karte, aus Listen oder automatisiert über Filterkriterien erfolgen. Der Holzverkauf kann nach Losen, Poltern oder Einzelstämmen erfolgen. Angebote und Kaufverträge vor und nach dem Einschlag sind die Grundlagen des Kontrahierungswesens. Die Rechnungsstellung kann in eigenem Namen, für einzelne oder mehrere Dritte erfolgen. So kann das System den unterschiedlichen Anforderungen von Dienstleistern, Waldbesitzervereinigungen, Holzverlaufsorganisationen als auch Kommunal- und Privatwaldbesitzern folgen.
Customizing
Die Zielsetzung des Projektes, auf der Grundlage bestehender Standards eine Standardapplikation für die Holzaufnahme und den Holzverkauf zu entwickeln wurde erreicht. Durch die gezielte Auswahl und Steuerung der Kernprozesse können die heterogenen Betriebsstrukturen mit ihren tradierten Prozessen abgebildet werden.
In der Phase der Projektrevision konnte das standardisierte System nachgeschärft und agil weiterentwickelt werden, wobei die Philosophie einer agil wachsenden Software verfolgt wurde. Abweichende Kundenanforderungen wurden auf ihre Relevanz für die Branchen geprüft, denn einzelne Prozesse werden in ihrer individuellen Ausprägung sicher keine Perspektive haben wohingegen neuere Trends rechtzeitig erkannt und integriert werden müssen.
Die Warenwirtschaft als der zentrale Kern einer forstlichen Informationstechnologie muss in jedem Fall den betrieblichen Anforderungen gerecht werden.
Wenn Holzkunden vom Forstbetrieb eine Sortimentsbildung verlangen, die von der RVR oder auch vom ELDAT Standard abweicht, so können vom Anwender individuelle Sorten und Güten angelegt werden. Der Trend zur Werkseingangsvermessung in Zeiten hoher Kalamität verlangt eine Zuordnung von Waldmaß und Werksmaß. Das Werkseingangsmaß kann importiert oder eingeben werden. Die Zuordnung zu einem Waldmaß verhindert, dass Mengen doppelt dargestellt oder gar doppelt verkauft werden können. Die Statistiken der Warenwirtschaft unterstützen zentrale Prozesse. Die Frage nach verkauftem oder unverkauftem Holz kann auf verschiedenen Aggregationsebenen forstamts- und revierweise oder auch nach Waldorten beantwortet werden. Die Datenübergabe nach EXCEL bietet alle Möglichkeiten dieses Auswertungstools.
Auch bei Forstbetriebsgemeinschaften und Waldbesitzerverbänden ist die Warenwirtschaft Kernstück eines betrieblichen Rechnungswesens. Hier ist es die große Anzahl der Mitglieder, die bei der Verwaltung und Fakturierung besondere Anforderungen stellen. Eine Rechnungsstellung im Namen mehrerer Mitglieder verlangt ein automatisches Gutschriftverfahren, um die unterschiedlichen Transaktionen in den Griff zu bekommen.
Die Warenwirtschaft von INTEND kann viel aber sicher noch nicht für jeden alles. Ein intensiver Austausch zwischen Anwendern und Entwicklern muss das Delta zwischen Standard und Betriebsspezifika schließen.